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Projektbeschreibung

Einleitung

In der kindschaftsrechtlichen Praxis wirken viele verschiedene Beteiligte mit: Familienrichter:innen, Jugendamtsmitarbeiter:innen, Familienrechtsanwält:innen, Verfahrensbeiständ:innen und Verwaltungsrichter:innen. Eine besondere Schnittstelle der Zusammenarbeit stellt das Familiengericht und das Jugendamt dar. Wie bei schnittstellen- und professionsübergreifendem Handeln erwartbar, kann es hier positive Effekte, aber auch Komplikationen und Hürden geben. Zwar ist für alle Beteiligte das Kindeswohlinteresse handlungsleitend. Die Einschätzungen zum sachgerechten Weg und die Umsetzung kann jedoch unter den einzelnen Verfahrensbeteiligten divergieren, indem beispielsweise das Familiengericht Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe für sinnvoll erachtet, die das Jugendamt ablehnt.

Das Kompetenzzentrum für Gutachten Recht Psychologie Medizin in Münster führt daher unter wissenschaftlicher Begleitung durch die katholische Hochschule NRW (katho NRW) eine durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte Studie zum besseren Verständnis der kindschaftsrechtlichen Praxis durch, um die herausfordernde Schnittstelle zwischen Familiengericht und Jugendamt zu untersuchen. Die unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche der Professionen sollen hierbei beleuchtet, positive Aspekte der Zusammenarbeit herausgearbeitet und Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Rechtliche Ausgangslage

Familiengericht und Jugendamt nehmen in Kindschaftssachen unterschiedliche Aufgaben wahr, deren gesetzliche Grundlagen sich insbesondere im FamG und im SGB VIII finden.

Das Familiengericht entscheidet in Kindschaftssachen (§ 151 FamFG), beispielsweise in Fällen von Streitigkeiten bei Trennung und Scheidung oder in Fällen von Kindeswohlgefährdung, kann jedoch keine Leistungsgewährung anordnen.

Das Jugendamt wirkt in familienrechtlichen Kindschaftssachen in Form verschiedener Hilfen mit (§§ 2 Abs. 3 Nr. 6, 50 SGB VIII). Ziel der Jugendhilfe, auch im Rahmen der Mitwirkung im familiengerichtlichen Verfahren, ist, sich für eine Verbesserung der Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen einzusetzen und sie in ihrer Entwicklung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern (§ 1 Abs. 1 SGB VIII). Zur Erreichung dieses Ziels kann das Jugendamt Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe gewähren.

Nach dem Willen des Gesetzgebers bilden das Familiengericht und das Jugendamt in diesen Verfahren keine Funktionsgemeinschaft. Eine Anordnungskompetenz oder ein Weisungsrecht des Familiengerichts gegenüber dem Jugendamt besteht nicht oder ist streitig. Das Jugendamt wiederum kann sorgerechtliche Entscheidungen des Familiengerichts nicht erzwingen.
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Konsequenzen in der Praxis

Die vorstehend dargelegten Zuständigkeiten und Kompetenzverteilungen können in der Praxis zu besonderen Situationen führen, die sich unmittelbar auf die betroffenen Kinder und Familien auswirken. Die nachstehenden Beispiele aus der kindschaftsrechtlichen Praxis verdeutlichen die Problematik und das Konfliktpotential:


Beispiel 1

Das Familiengericht befürwortet begleiteten Umgang i.S.v. § 1684 IV 3 BGB und fragt beim Jugendamt an, ob es Umgangskontakte begleiten bzw. die entsprechende Hilfe mithilfe Dritter gewähren kann. Lehnt dieses eine Mitwirkung ab und findet sich auch kein anderer Dritter, kann das Familiengericht das Umgangsverfahren gem. § 21 FamFG aussetzen. Dem umgangswilligen Elternteil kann unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit gegeben werden, seinen etwaigen Mitwirkungsanspruch gegenüber dem Jugendamt verwaltungsgerichtlich durchzusetzen. Dieser kann dann im Verwaltungsrechtsweg – auch im einstweiligen Rechtsschutz – versuchen, die Verpflichtung des Jugendamtes zur Leistung, also Begleitung des Umgangs, zu erwirken.


Beispiel 2

Das Familiengericht hält entgegen der Einschätzung des Jugendamtes einen Entzug der elterlichen Sorge (§ 1666a BGB) bzw. die Erteilung der Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung des Kindes oder des Jugendlichen (§ 1631b BGB ) nicht für verhältnismäßig, weil aus seiner Sicht zur Abwendung einer Gefährdung noch weitere Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe gewährt werden könnten. Das Jugendamt dagegen ist der Auffassung, alles Mögliche und Notwendige bereits getan zu haben und möchte keine weiteren jugendhilferechtlichen Maßnahmen gewähren. Das Familiengericht kann dann nur den Entzug der elterlichen Sorge bzw. die Anregung der Eltern auf familiengerichtliche Genehmigung der Unterbringung abweisen, ggf. ergänzt um die Auflage, angebotene Hilfen seitens des Jugendamtes anzunehmen. Die Eltern des betreffenden Kindes oder des Jugendlichen sind nun auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen, um die vom Familiengericht geforderten weiteren jugendhilferechtliche Maßnahmen einzufordern.


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Ziele des Projekts

Ziel ist es, Erkenntnisse über die aktuelle kindschaftsrechtliche Praxis an der Schnittstelle Familiengericht – Jugendamt zu gewinnen sowie Potentiale und Hürden der Zusammenarbeit zu erkennen und sichtbar zu machen. Außerdem soll den involvierten Professionen Gelegenheit gegeben werden, Ideen, Vorschläge und Anregungen für Veränderungen und Verbesserungen des Ist-Zustandes mitzuteilen. Etwaige Ansätze, Möglichkeiten und Erfordernisse von (gesetzlichen) Reformen sollen aufgezeigt werden.

Umsetzung

Dieses Ziel soll durch eine wissenschaftliche Umfrage und Expert:innenbefragung erreicht werden. Angesprochene Teilnehmer:innen sind Familien- und Verwaltungsrichter:innen, Jugendamtsmitarbeiter:innen, Familienrechtsanwält:innen und Verfahrensbeiständ:innen. Das Einbeziehen der wesentlichen involvierten Professionen gewährleistet eine umfassende Annäherung an das Thema unter Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven und Interessenlagen.